Das ist ein Text von Heike, unserer Ersthelferin.

Ich bin Ihr so dankbar, dass Sie angehalten hat!!!

 

Heike S.
Ich bin Arzthelferin und Masseurin, 41 Jahre alt, und Mutter eines siebenjährigen Jungen.

3. Mai 2005
           Ich mochte den Britzer-Tunnel noch nie.
Extrem hohe Geschwindigkeiten und permanenter Spurenwechsel sind dort an der Tagesordnung.
Daher fuhr ich auf der rechten Spur, als ich das Quietschen und einen ohrenbetäubenden Knall hörte. Die Fahrt verlangsamte sich sofort. Es hätten etliche Autos vor mir anhalten können, bis für mich das Unfallauto sichtbar wurde.
Es stand in einer Notfallnische, noch genug Platz um für jedermann sicher am Unfallort zu halten. Mein Herz klopfte bis zum Hals, und ich zögerte einen Moment, bevor ich an das Auto trat. Noch nie zuvor hatte ich ein so zertrümmertes Auto gesehen. Es qualmte fürchterlich, und mir kamen Bilder von brennenden und explodierenden Autos in den Sinn. Der Fahrer und der Beifahrer waren wie durch ein Wunder relativ leicht verletzt.
           Der Blick zur Rückbank war jedoch schockierend und unfassbar. Ein 17 Jahre junges Mädchen klemmte mit ihrem Kopf am heruntergedrückten Heckfenster fest. Gina! Als ich zur ihr ans Dach kletterte, lähmte mich der Anblick von zwei so krassen Gegensätzen, in ihrem Gesicht. Der Frieden ruhte auf  ihren geschlossenen Augen. Durch das Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos, glitzerten Glassplitter in ihrem Haar, wie viele kleine Sterne. Das Andere jedoch zeigte die Realität der Zerstörung.
            Als man dem Fahrer und Beifahrer half aus dem Auto zu klettern, versuchte ich, möglichst jede Erschütterung von dem Mädchen fern zu halten, und nahm ihren Kopf und die Schultern in meine Hände. Ich habe durch meinen Beruf viele Verletzungen gesehen, aber das hier war anders. Das Blut lief mir über die Hände. Es lief und lief – und war nicht mehr zu stoppen. So musste ich dem Schicksal seinen Lauf lassen. Es bedrückte mich sehr, da mir der Wunsch, nützlich zu sein, verwehrt wurde. Es war verdammt noch mal so unfair, ein so junges Mädchen sterben zu sehen. Hilflosigkeit machte sich breit, als ich dann meine Hand auf ihre Schulter legte und zu ihr sprach. Ich konnte weiter nichts tun, als da sein. Ich weiß bis heute nicht, ob der Puls, den ich zwischendurch fühlte, nur noch eine Illusion war, oder ob es noch
Sekunden oder sogar Minuten gab, die wir gemeinsam lebten. Es kam mir unendlich lange vor, bis Hilfe eintraf.
 

Noch heute nehme ich jede Sirene war, und die Erinnerungen, die Bilder an das Erlebte bleiben. Auch die Tatsache, dass
so viele einfach vorbei gefahren sind, beschäftigt mich sehr. Warum? Warum ist das "Füreinander da sein" heute nicht mehr selbstverständlich? Wo ist das Miteinander geblieben? Wo die Rücksichtnahme im Straßenverkehr und auch so
im täglichen Leben? Sicher, das Geschehene belastet mich sehr, und die Angst, dass mich einmal so ein Schicksal treffen könnte, steigt nun noch mehr in mir hoch. Wenn mein Sohn sterben würde, so würde auch ein Teil von mir sterben. Ich versuche, für meine Familie und Freunde weiter ein fröhlicher und unbeschwerter Mensch zu bleiben. Ich kann nur schwer darüber reden. Es möchte sich verständlicherweise auch kaum jemand mit solchen Sachen auseinander setzen oder belasten. Es kostet mich viel Kraft; und manchmal, wenn ich das Gefühl habe, gar nicht mehr klar zu kommen, lasse ich in den Momenten, in denen ich alleine bin, meinen Tränen freien Lauf.

 

Und doch, ich würde wieder anhalten um zu helfen.
Es macht immer einen Sinn.
Gina konnte ich nicht mehr helfen, doch ihrer Familie die Gewissheit überbringen, sie war in diesem Moment nicht alleine. All den Schmerz von Silvia, Ginas Mama, kann ich nur erahnen. Ich kann ihn ihr leider nicht nehmen. Aber Silvia, ich kann dich, wenn du möchtest, gerne begleiten und eben einfach nur da sein.

            Eines kann ich nicht begreifen. Ausgerechnet jetzt! Noch nie bin ich wegen Geschwindigkeitsübertretung aufgefallen. Meinen Fahrstil habe ich immer als rücksichtsvoll und zügig, aber nicht als zu schnell bezeichnet. Trotz alledem, am 29.11.05, bin ich auf einer 50er Strecke mit 65 km/h geblitzt worden. Ich schäme mich. Was ich dazu zu sagen habe? – War das erste Mal – habe es gar nicht so mitbekommen – habe ja alles im Griff – Termindruck, war ja nur ganz kurz zu schnell und so weiter. Gibt es überhaupt eine Entschuldigung? KEINE !!!
            Es war lange genug, um geblitzt zu werden. Unfälle passieren in Sekundenschnelle. Meine Verantwortung und Fürsorge für meine Mitmenschen im Straßenverkehr beginnt nicht erst mit der ersten Hilfe, sondern mit dem Moment, an denen ich aktiv daran teilnehme.

            In unserem heutigen Leben geht etwas langsam verloren, das im Straßenverkehr und auch im Privatleben so ungeheuer wichtig wäre. Die Achtung eines Jeden, und die Beachtung jedes Einzelnen.

 
Unsere Zeit ist rücksichtslos und schnelllebig geworden. Unser Fahrstil passt sich ihr an. Zeit ist Geld! Schnell und immer schneller!
Ist der Preis, den wir am Ende, zahlen nicht zu hoch???

engel